Das deutsche Strafrecht unterscheidet begrifflich zwischen "Strafen" und "Maßregeln". Anders als Geld- und Freiheitsstrafen können sogenannte "Maßregeln der Besserung und Sicherung" auch gegenüber Beschuldigten angeordnet werden, die schuldunfähig sind.
Maßregeln werden entweder neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe oder isoliert angeordnet. Die bekannteste Maßregel des deutschen Strafrechts ist sicherlich die Entziehung der Fahrerlaubnis. Deutlich gravierendere Auswirkungen auf das Leben des Beschuldigten haben jedoch die Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB).
Strafbar macht sich nach deutschem Recht nur, wer den Tatbestand eines Strafgesetzes (z.B. § 223 StGB – „Körperverletzung“) in rechtswidriger und schuldhafter Weise verwirklicht. Schuldhaftes Handeln setzt zwingend Schuldfähigkeit voraus. Schuldfähig ist ein Beschuldigter dann, wenn er das "Unrecht seines eigenen Handelns" erkennt ("Einsichtsfähigkeit") und auch in der Lage ist, nach dieser Einsicht zu handeln, also seine eigenen Handlungen auch zu steuern ("Steuerungsfähigkeit").
Schuldfähigkeit ist nicht gleichbedeutend mit der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit, also mit der Frage, ob eine Person rechtswirksame Erklärungen abgeben und daher z.B. eigenständig Verträge schließen kann.
Grundsätzlich gilt jeder Beschuldigter im Strafverfahren als schuldfähig. Schuldunfähig ist nur, wer
Als maßgeblicher "Defekt" kommen nahezu alle geistigen und seelischen Störungen in Betracht. Insbesondere Geisteskrankheiten wie Schizophrenie, aber auch „bloße“ Persönlichkeitsstörungen können bei entsprechender Schwere die Schuldfähigkeit aufheben. Auch starke Intelligenzdefizite sowie alkohol- oder drogenbedingte Rauschzustände sind von Bedeutung. Bei alkoholbeständigem Rausch wird Schuldunfähigkeit regelmäßig ab 3,0 Promille, bei Tötungsdelikten ab 3,3 Promille angenommen.
Wichtig: Auch wenn eines der Merkmale erfüllt ist, ist damit noch nicht die Schuldunfähigkeit begründet. Erforderlich ist, dass der Täter aufgrund des Defizites nicht in der Lage war, das Unrecht seines Handelns einzusehen oder entsprechend dieser Einsicht zu handeln. An dieser zweiten Voraussetzung fehlt es in der Praxis meistens. Ist die Einsichtsfähigkeit nicht völlig aufgehoben, aber zumindest stark beeinträchtigt, wird eine verminderte Schuldfähigkeit angenommen (§ 21 StGB). Das bedeutet, die Strafe entfällt nicht, aber sie wird gemildert.
Grundsätzlich gar nicht. Voraussetzung für die Verhängung einer Strafe (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe) ist schuldhaftes Handeln.
Gerade gegenüber schuldunfähigen Beschuldigten – also solchen, die ihr eigenes Handeln nicht als Unrecht erkennen können – besteht aber unter Umständen ein erhebliches Bedürfnis, die Allgemeinheit vor ihnen zu schützen. Zu diesem Zweck hält das Gesetz sogenannte Maßregeln der Besserung und Sicherung bereit. Anders als Strafen haben sie keine Sühne- und Genugtuungsfunktion, sondern sollen ausschließlich präventiv die künftige Begehung schwerer Taten vermeiden.
Im Bereich der forensischen Psychiatrie sind als Maßregeln der Besserung und Sicherung von Bedeutung:
Nein. Maßregeln der Besserung und Sicherung können auch gegenüber schuldfähigen Beschuldigten angeordnet werden. In diesem Fall treffend Strafe und Maßregel zusammen.
Sie können allerdings nicht gleichzeitig vollstreckt werden. Welche Maßnahme Vorrang hat, hängt von der Art der verhängten Maßregel ab. Eine Unterbringung nach § 63 oder § 64 StGB wird grundsätzlich vor der Strafe vollstreckt. Das bedeutet, der Verurteilte muss seine Haftstrafe erst antreten, wenn er aus der Unterbringung entlassen wird. Der Gesetzgeber berücksichtigt dabei, dass auch die Unterbringung regelmäßig einen nachhaltigen Eindruck beim Betroffenen hinterlässt. Daher wird ein Teil des in der Unterbringung verbrachten Zeitraumes auf die noch zu verbüßende Strafe angerechnet.
Daneben gibt es die – in der Praxis häufig genutzte – Möglichkeit des sogenannten Vorwegvollzugs der Strafe. In diesem Fall verbringt der Verurteilte eine gewisse Zeit (nicht die volle Freiheitsstrafe) in der Haft und wird erst danach in die Unterbringung überführt. Die Dauer des Vorwegvollzugs wird dann so bemessen, dass der Strafrest, den der Täter nach der Entlassung aus der Unterbringung eigentlich noch absitzen müsste, zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Mit anderen Worten gilt es in der Praxis zu verhindern, dass der Betroffene nach der Unterbringung nochmal ins Gefängnis muss.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt voraus, dass im Zustand der Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat begangen wurde und zu erwarten ist, dass der Beschuldigte infolge seines Geisteszustandes auch in Zukunft schwerwiegende Taten begehen wird. Die Unterbringung hängt also maßgeblich davon ab, inwieweit der Beschuldigte nach Ansicht der Staatsanwaltschaft und des Gerichts für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die zu erwartenden Taten müssen daher mindestens im Bereich mittlerer Kriminalität liegen. Bloße Beleidigungen oder Belästigungen genügen nicht.
Die Unterbringung kann schon im Ermittlungsverfahren – das heißt, bevor ein gerichtliches Urteil ergeht – vorläufig angeordnet werden. Diese Maßnahme entspricht der Anordnung der Untersuchungshaft gegenüber schuldfähigen Beschuldigten.
Die Unterbringung ist grundsätzlich nicht zeitlich befristet. Sie dauert nach dem Willen des Gesetzgebers so lange, wie der Beschuldigte für die Allgemeinheit gefährlich ist. Durchschnittlich verbringen Beschuldigte etwa zehn Jahre in der Unterbringung.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gilt daher als schwerwiegende und grundrechtlich problematische Maßregel. Das zuständige Gericht muss allerdings einmal jährlich unaufgefordert („von Amts wegen“) prüfen, ob die Voraussetzungen der Unterbringung noch erfüllt sind. Das ist schon deshalb erforderlich, weil die Unterbringung neben dem Sicherungszweck auch dazu dienen soll, den Beschuldigten zu „bessern“, insbesondere also seinen geistigen Zustand zu therapieren.
Steht eine solche Entscheidung des Gerichts (sog. Fortdauerentscheidung) an, wird der Untergebrachte von der Einrichtung, in der er sich befindet, begutachtet und eine Prognose über seine Gefährlichkeit erstellt. Nach Ablauf bestimmter Fristen ist auch ein externes Sachverständigengutachten einzuholen. Das Gericht kann in seiner Entscheidung entweder
In den ersten beiden Fällen tritt mit der Entlassung des Betroffenen Führungsaufsicht ein. Damit verbunden sind regelmäßig Weisungen, die der Betroffene zu befolgen hat, z.B. Meldeauflagen, Kontaktverbote. Verstößt er hiergegen in beharrlicher und gravierender Weise, kann das bei einer Entlassung auf Bewährung insbesondere dazu führen, dass die Aussetzung widerrufen wird, der Betroffene also zurück in die Unterbringung muss. Neben dem Widerruf der Aussetzung gibt es auch die sogenannte Krisenintervention. Dabei wird der Betroffene kurzfristig wieder untergebracht, wenn sich sein Zustand akut stark verschlechtert und mit der befristeten Wiederunterbringung ein endgültiger Widerruf der Aussetzung vermieden werden kann.
In einer Entziehungsanstalt kann ein Beschuldigter untergebracht werden, wenn er an einer psychischen Abhängigkeit von Alkohol oder anderen Rauschmitteln (Drogen) leidet und im Zustand der Schuldunfähigkeit rausch- oder abhängigkeitsbedingt eine rechtswidrige Tat begangen hat. Auch hier ist allerdings erforderlich, dass infolge des Hangs zum übermäßigen Alkohol- oder Drogenkonsum schwerwiegende zukünftige Taten zu erwarten sind.
Hierunter fallen vor allem Straftaten aus dem Bereich der Beschaffungskriminalität (Diebstahl, Wohnungseinbruchdiebstahl, Raub, Erpressung, Betrug). Zudem muss die Behandlung in der Entziehungsanstalt im Einzelfall hinreichend erfolgversprechend sein.
Anders als die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für maximal zwei Jahre angeordnet werden.
Führungsaufsicht tritt automatisch ein, nachdem der Betroffene aus der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entlassen wurde. Sie besteht im Wesentlichen in der Überwachung des Entlassenen. Dieser untersteht daher einer Aufsichtsstelle (in der Regel eine Behörde der Strafvollstreckung) und wird von einem Bewährungshelfer betreut. Dem Betroffenen werden Auflagen und Weisungen erteilt.
Die Führungsaufsicht dauert mindestens zwei und höchstens fünf Jahre. In Ausnahmefällen ist allerdings auch eine lebenslange Führungsaufsicht möglich.
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